Früchte der Trauer

 
Dieses erste Schreiben hier ist vorsichtig und zaghaft. Zu lange habe ich in der Dunkelheit geschrieben. Über den Tod. Dass ich kaum weiß, wie ich öffentlich darüber reden sollte.


Und das bringt der Tod wohl mit sich. Das er leise im Verborgenen sich vollzieht. Denn Sterben geht leise. Und wir schauen weg. Wenn Menschen sterben. Und trauern alleine. Als sei es ein Makel.


Wir wissen kaum, wie wir mit jemandem umgehen sollen, der gerade jemanden verloren hat. Beklemmend, unsicher, ängstlich, etwas falsches zu sagen.


Ein Mädchen aus der Klasse meiner Tochter hat vor einigen Wochen ihre Schwester verloren. Die an Krebs starb, im Alter von 13 Jahren. Meine Tochter war selber sehr bewegt und erschüttert. Und doch hat sie vier Wochen das Mädchen nicht darauf angesprochen. Weil sie nicht so eng befreundet sind. Und auch nicht wusste, was sie sagen sollte.


Das Mädchen kam nach mehreren Wochen Krankschreibung wieder in die Klasse zurück. Doch keiner kam auf sie zu. Keiner sprach sie an auf den Tod. Keiner umarmte sie. Es wussten ja alle. 'Sie will in Ruhe gelassen werden', sagte engere Freunde von ihr. Ja, wollte sie das wirklich?


Im Ethik-Unterricht behandelten sie an diesem Tag das Thema Tod. Unter anderem durch Krebs. Es stand so im Lehrplan. Doch niemand erwähnte, dass eben dieses Mädchen gerade ihre eigene Schwester durch Krebs verloren hatte. Niemand sagte es dem Lehrer. Am nächsten Tag kam das Mädchen nicht mehr in die Schule.

Hätte der Lehrer das Thema vielleicht anders hätte aufbereiten können? Oder sie fragen können, wie es ihr geht? Oder ob sie lieber an die frische Luft mag... Oder wäre das in einer normalen staatlichen Schule noch weitaus unpassender gewesen? Und hätte sie sich damit noch unwohler gefühlt?


Und ich merke, dass ich es selber nicht wüsste. Was würde ihr helfen in so einem Moment? Mit den anderen darüber zu sprechen? Eine Umarmung. Ein warmer verstehender Blick. Zu wissen, dass sie ihre Gefühle zeigen kann? Selbst wenn sie weint. Dass sie gehalten wird?

Wie unbeholfen gehen wir doch um mit dem Tod. Den wir bei anderen erleben. Mit deren Schmerz und deren Trauer?

Und können ihn selber nicht gut ausdrücken. Den Schmerz. Zumindest mir gelang es nicht, meinen Schmerz zu fühlen, als mein Vater starb. Zumindest nicht vor Anderen. Wie eingeschlossen in mir. Zu weinen vor den anderen? Unmöglich.


Oder ist das vor allem meine eigenes Thema? Dass ich den Schmerz nicht gut zeigen kann? Mich nicht öffnen kann in meiner Trauer? Noch nie konnte? Ein Indiander kennt keinen Schmerz. Schon als Kind habe ich über die anderen gelacht, die gleich losweinten, wenn sie sich weh getan hatten. Ich biss meine Zähne zusammen und wurde eher wütend, als dass ich geweint hätte.


 
 Doch in der Natur ist alles Werden und Vergehen. Und in jedem Stadium der Verwandlung ist Schönheit. Jede Stufe gebiert Neues. Und selbst im Vergehen finden andere Nahrung. Und der Kreis schließt sich, jedes Jahr neu.

 
Da ist immer währende Verwandlung. Wie in diesen Bildern aus meinem Garten. Von den vollen Blüten und den Früchten. Den reifen und faulenden am Boden, die die Stare übergelassen haben, nach ihrem Angriff auf den Kirschbaum.

Ob das dem Mädchen geholfen hätte? Ob mir das helfen würde? Was würde ihr helfen? Oder mir?

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