Schreiben über Trauer, Tod und Suizid

Seit Jahren führe ich einen Blog. Einen Blog über ein anderes Thema, das sich in mein Leben geschlichen hat. Das Thema Behinderung. Inspiriert und angeregt durch meine Tochter Lola, die vor 13 Jahren mit Down-Syndrom geboren wurde. Ein Thema, das ich bewegte, seit ihrer Geburt. Wie ein Schlag, plötzlich damit konfrontiert zu sein mit dem Schreckgespenst jeder schwangeren Frau und Mutter, einem Kind mit Down-Syndrom. 

Das Schreiben über sie, über unser Leben, über unseren Alltag, hat mir von Anfang an geholfen, sie annehmen zu können, wie sie ist. Als Kind mit Licht- und Schattenseiten. Und auch mich besser anzunehmen. Mit den hellen dun den dunklen Seiten. Mit den Fragen und den Zweifeln und dem Ringen um einen Weg. Ich hab sie lieben gelernt, wie sie ist. Und mich vielleicht auch, ein Stückchen mehr. 

Und dann - im November 2011 - starb mein Vater. Naja, er nahm sich das Leben. Von einem Tag auf den anderen. Und - wie es so oft auch von andern gesagt wird - nichts war mehr wie zuvor. Obwohl ich zunächst versuchte weiter zu machen wie zuvor. Denn Eltern müssen einmal sterben, und ich war gerade schwanger mit dem dritten Kind, und hatte Verantwortung für zwei andere. Da war kein Raum für viele Fragen, das Hadern und den Zorn. Und mein Vater hatte mich gelehrt, immer nach vorne zu schauen. Und so schaute ich auf all das, was mir immer noch geschenkt war, und lebte mein Leben weiter. gesprochen habe ich wenig über seinen Tod, geschrieben noch weniger. Es ist, wie es ist... 

Bis es mich eingeholt hat. Bis ich selber müde wurde, verzagt, überfordert und nicht mehr weiter wusste. Und mich zu fragen begann, ob das vielleicht mit dem Tod meines Vaters zu tun hat. Den ich nicht wirklich verarbeitet habe. Ob ich da nicht doch vieles in mir vergraben hatte, verdrängt, was jetzt mit Macht ans Licht drängte. 

Und ich begann ein Buch zu schreiben. Über sein Leben und vor allem sein Sterben. Und das, was es mit mir gemacht hat. Endlich ehrlich zu sein, zumidnest mit mir. Denn das,was ich schrieb, zeigte ich kaum jemandem. Es blieb weiter mein Geheimnis. Und so ruhe nun die vielen hundert Manuskriptseiten und Versionen seit Jahren auf meinem Rechner, wachsen und verändern sich. Doch bis jetzt habe ich es nicht geschafft, das Buch zu Ende zu schreiben und zu veröffentlichen. 

Obwohl, eigentlich stehe ich kurz davor. Doch ich merke, dass ich den letzten Schritt vielleicht nicht schaffe, weil ich gar nicht weiß, ob ich dieses Thema wirklich so an die grosse Öffentlichkeit bringen will. Wie damals mein Buch über Lola. 'Lolas verrückte Welt'. Oder ob ich mich nicht doch weiter verstecken will. Mit meinen Gedanken zu seinem Tod, mit meinen gefühlen und den vielen offenen Fragen. 

Und so ist mir dieser Tage die Idee gekommen, eigntlich kam sie immer mal wieder, ob nicht auch diesmal ein öffentlicher Blog ein guter Ort sein könnte, darüber zu schreiben. Ohne dass es gleich in Buchform für immer schwarz-weiß gedruckt in den Bücherregalen und Buchhandlungen steht. Erstmal zu schauen, was es mit mir macht, wenn andere meine Texte lesen. Und wie ich mich danach fühle. 

Und so möchte ich nun diesen Blog eröffnen, um hier einige meiner entstandenen Texte zu veröffentlichen, und mich mit dem Thema 'Leben und Sterben' viel tiefer und intensiver auseinanderzusetzen, als ich es bisher sporadisch getan habe, indem ich über meinen Vater und seinen Tod schrieb. Denn das Thema Trauer und Tod ist fast genau so ein Tabu für mich und viele andere wie der Suizid, der das alles noch toppt. Und ich traue mich gar nicht so recht ran. 

Denn anders als damals beim Schreiben über Lola und ihr Down-Syndrom, als ich über unser LEBEN und den Alltag und die Herausforderungen berichten konnte, über die beglückenden Momente, die Verbindung, auch über die Therapien und ihre Fortschritte, erscheint der Tod meines Vaters als ein Thema, worüber ich nicht weiß, wie ich schreiben soll, ohne sterbenstraurig und noch trauriger zu werden. 

Wie kann ich beiläufig und berührend über das Thema Tod schreiben? Was ich gerne würde, denn so schwer und niederdrückend darf es nicht sein. Denn der Abschied ist schwer genug... 

Ich weiß es auch noch nicht so recht. Doch ich merke, wie all umfassend und jeden betreffend dieses Thema ist. Menschen sterben, in jeder Familie. Jung oder alt. Plötzlich oder nach langer Krankheit. Natürlich oder selbstbestimmt. Und Menschen trauern. Zu allen Zeiten und in allen Kulturen. Es ist die andere Seite der Liebe. Der Schmerz. Und wie sollen wir lieben, ohne Schmerzen? Können wir vielleicht deswegen nicht richtig trauern, weil wir nie wirklich geliebt haben? 

So soll dieser Blog ein Experiment werden. Über die Themen Trauer, Tod und Suizid zu schreiben und zu forschen. Mich endlich damit auseinanderzusetzen. Und diese Themen in mein Leben zu integrieren. Die ich lange außen vor gelassen habe. 

Und ich wünsche mir, hier eigene Geschichten zu schreiben über den Tod in meinem Leben. Über den Tod im Leben anderer. Wie ich und andere damit umgegangen sind. Was hilft und was nicht. Will Bücher lesen und vorstellen zum Thema. Die den Tod nicht nur als Ende, sondern auch als Anfang sehen... Will Filme anschauen. Auch darüber schreiben, wie andere Kulturen mit dem Thema umgehen. Interviews führen mit Betroffenene und Experten, wie sie durch diese Phasen durchgegangen sind. Auch mit Sterbenden sprechen und Menschen, die sie begleiten. Und endlich dieses Thema Trauer, Tod und Suizid in mein Leben holen. Und vielleicht - so wäre mein Wunsch - auch in das Leben so vieler anderer. 

Um nicht mehr Angst haben zu müssen, sich mit diesem Thema zu outen, sich zu verstecken. Und dadurch so viel mehr zu leiden, als wenn man einfach darüber sprechen und schreiben würde. 

MeToo - Auch ich habe einen Menschen verloren. (Durch Suizid.) 



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